Dacheinstürze entstehen bei Flachdächern überwiegend durch eine fehlende oder unzureichende Notentwässerung. Zur Vermeidung solcher Schadensereignisse ist die Flachdach-Notentwässerung mittlerweile Pflicht und in entsprechenden Regelwerken fest verankert. Eine genaue Koordination zwischen Handwerkern, Architekten und Statikern ist folglich die wichtigste Voraussetzung zur Realisierung sicherer Dachentwässerungs- und Notentwässerungssysteme.
Die Planung und Ausführung von Regenentwässerungsanlagen und Notentwässerungen müssen grundsätzlich nach der DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“, der DIN EN 12056-3 „Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Dachentwässerung, Planung und Bemessung“ sowie der Flachdachrichtlinie erfolgen.
Technische Anforderungen
Jede Dachfläche bzw. jeder durch die Dachkonstruktion vorgegebene Tiefpunkt muss gemäß Abschnitt 5.3.1 der DIN 1986-100 bzw. Abschnitt 2.5 der Flachdachrichtlinie über eine Notentwässerung verfügen. Die Notentwässerung kann entweder über Notüberläufe (zum Beispiel durch Öffnungen in der Attika) oder Notabläufe (zum Beispiel Notabläufe mit Rohrsystemen) erfolgen. Nach Abschnitt 5.9 der DIN 1986-100 darf die Notentwässerung nicht an die Entwässerungsanlage angeschlossen werden, sondern muss mit freiem Auslauf auf schadlos überflutbare Grundstücksflächen abgeleitet werden.
Von jedem Dachablauf aus muss folglich ein freier Abfluss auf der Dachabdichtung zu einer Notentwässerung mit ausreichendem Abflussvermögen vorhanden sein. Lässt die Dachgeometrie eine freie Notentwässerung über die Fassade nicht zu, muss zur Sicherstellung der Notentwässerungsfunktion ein zusätzliches Leitungssystem mit freiem Auslauf auf das Grundstück diese Aufgabe übernehmen. Entsprechend geeignete Rohrsysteme zur Notentwässerung sind als Freispiegelsysteme oder wahlweise als planmäßig vollgefüllt betriebene Systeme mit Druckströmung zu bemessen. Dabei ist der Blick in entsprechende Regelwerke sinnvoll: Zum Beispiel müssen gemäß Abschnitt 4.8.1 der Flachdachrichtlinie sowie Abschnitt 5.7.3.1 der DIN 1986-100 fabrikmäßig vorgefertigte Dach- bzw. Notabläufe der DIN EN 1253-2 entsprechen.
Wichtiger Hinweis
Nur in Ausnahmefällen kann auf eine Notentwässerung verzichtet werden. Im Kommentar zur DIN 1986-100 heißt es hierzu: „Nur bei planmäßig vorgesehener Regenrückhaltung auf Flachdächern in Massivbauweise, die dafür statisch berechnet sind, kann auf eine Notentwässerung verzichtet werden. Dabei sollte die Dachkonstruktion einen Einstau bis zur Attikahöhe aufnehmen können.“
Ermittlung des Abflussvermögens von Notentwässerungen
Dachentwässerungssysteme werden für r(5,5) bemessen. Dieser Angabe liegt ein zu erwartendes fünfminütiges Regenereignis zugrunde, das am Gebäudestandort alle 5 Jahre auftritt. Abschnitt 14.2.6 der DIN 1986-100 besagt, dass entsprechende Dachentwässerungs- und Notentwässerungssysteme gemeinsam mindestens den am Gebäudestandort über 5 Minuten zu erwartenden Jahrhundertregen r(5,100) entwässern können müssen. Alle Regenereignisse bis zum Jahrhundertregen dürfen somit die statischen Reserven der Tragwerkskonstruktion nicht überschreiten. Das Mindestabflussvermögen der Notentwässerung wird hierbei nach folgender Gleichung berechnet:
QNOT = (r(5,100) – r(5,5) · CS) · A/10.000 (l/s)
Dabei ist QNOT das Mindestabflussvermögen der Notentwässerung in Liter pro Sekunde (l/s). Der Wert r(5,100) entspricht dem fünfminütigen zu erwartenden Jahrhundertregen am Gebäudestandort nach Tabelle A.1 der DIN 1986-100 oder nach Kostra-DWD-2010 in I/(s·ha), also Liter pro Sekunde und Hektar. Gleiches gilt für r(5,5) jedoch in Bezug auf die über 5 Minuten am Gebäudestandort zu erwartende fünfjährige Berechnungsregenspende. CS ist der Spitzenabflussbeiwert nach Tabelle 9 der DIN 1986-100 und A die Dachfläche in Quadratmeter. Folgender Berechnung liegen beispielhafte Werte für das Zentrum der Stadt Bonn nach Tabelle A.1 zugrunde:
Gesucht wird QNOT in Liter pro Sekunde (l/s). Die entsprechende Lösung lautet: QNOT = (533 - 285 · 0,8) · 1000 / 10 000 (bitte „Punkt- vor Strichrechnung“ beachten). Das Ergebnis ist: QNOT = 30,5 l/s.
Wichtig!
Ist ein außergewöhnliches Maß an Schutz für ein Gebäude (zum Beispiel Flughafengebäude, Forschungszentrum oder Klinikum) erforderlich, sollte gemäß DIN 1986-100, Abschnitt 14.2.6 die Notentwässerungsanlage allein den Jahrhundertregen r(5,100) sicher ableiten können. Hierbei ist die Ableitung des Jahrhundertregen-Ereignisses selbst bei Ausfall der Dachentwässerungsanlage – zum Beispiel durch Rückstau im Regenentwässerungssystem oder verschmutzte Dachabläufe – sicherzustellen. Das Abflussvermögen der Notentwässerung wird dann nach folgender Gleichung ermittelt: QNOT = r(5,100) · A / 10 000 (l/s)
Dabei ist QNOT das Mindestabflussvermögen der Notentwässerung in Litern pro Sekunde (l/s) und r(5,100) der über 5 Minuten zu erwartende Jahrhundertregen am Gebäudestandort nach Tabelle A.1 der DIN 1986-100 oder nach Kostra-DWD-2010 in Liter pro Sekunde und Hektar. Die Dachfläche A wird in m² angegeben. Ein weiteres Berechnungsbeispiel ist im Online-Extra zu diesem Fachaufsatz abrufbar.
Konstruktion der Notentwässerungen
Nach DIN 1986-100, Abschnitt 14.2.6 gelten folgende Grundanforderungen an die Konstruktion von Notentwässerungen: „Die Addition der Druckhöhen am Dachablauf und an der Notentwässerung ergibt die maximale Überflutungshöhe auf dem Dach. Die maximale Überflutungshöhe auf dem Dach muss mit dem Tragwerksplaner (Statiker) abgestimmt werden. Die aus der Überflutungshöhe resultierende Flächenlast über dem Entwässerungstiefpunkt (Dachablauf) darf den statisch zugelassenen Wert für die Dachkonstruktion nicht überschreiten. Kann dieses Ziel nicht erreicht werden, muss die Dachkonstruktion mindestens im Bereich der Gefälletiefpunkte verstärkt werden“.
Eine Alternative zur entsprechender Verstärkung der Dachkonstruktion in den Gefälletiefpunkten ist der Einbau von Notabläufen mit eigenem Leitungssystem und freiem Auslauf auf schadlos überflutbare Grundstücksflächen. Die resultierende Überflutungshöhe ergibt sich entweder aus der Addition der Druckhöhen h am Dachablauf und der Notentwässerungsströmung zur Öffnung in der Attika oder aus der Addition der Druckhöhen h am Dachablauf und am Notablauf.
In der Praxis muss der Fachplaner zunächst vom Tragwerksplaner (Statiker) bestätigt bekommen, mit welcher zusätzlichen Last die Dachkonstruktion beaufschlagt werden darf, wobei jede 100 kg/m² einer zulässigen Wasserhöhe von 100 mm entsprechen.
Info
Die Angaben der Tragwerksplaner (Statiker) bezüglich der zusätzlichen statischen Dachlasten beziehen sich erfahrungsgemäß in den häufigsten Fällen auf die zulässigen Schnee- und Eislasten am Gebäudestandort. Die benötigten Druckhöhen h in mm für Dach- und Notabläufe sind in Tabelle 10 der DIN 1986-100 dargestellt. Die Summe der Druckhöhen h für Dach- und Notablauf darf den maximal zulässigen Wasserstand auf dem Dach nicht überschreiten.
Notentwässerung über Öffnungen in der Attika
Ist eine Notentwässerung über Öffnungen in der Attika möglich, kann die Differenz zwischen statisch zulässiger Last und der Druckhöhe am Dachablauf h als Druckhöhe h für die Notentwässerungsströmung genutzt werden. Dazu ein Beispiel: Der Statiker hat eine zusätzliche Last von 150 kg/m² bestätigt. Aus der Tabelle 10 der DIN 1986-100 ergibt sich für die vorgesehenen Dachabläufe DN 100 bei Schwerkraftentwässerung eine Druckhöhe (Stauhöhe) h von 35 mm. Von den 150 mm maximaler Wasserhöhe verbleiben somit 115 mm als Druckhöhe h für die Notentwässerungsströmung zu den Öffnungen in der Attika. Gemäß DIN 1986-100, Abschnitt 14.2.6 muss die Unterkante der Notentwässerung oberhalb der erforderlichen Druckhöhe h für den gewählten Dachablauf liegen. Damit soll erreicht werden, dass die Notentwässerung erst anläuft, wenn der Berechnungsregen r(5,5) überschritten wird, bei Notabläufen zum Beispiel durch einen Anstauring.
Ist der Hochpunkt einer Notentwässerungsströmung weiter als 10 m vom Notüberlauf/ Notablauf entfernt oder liegen Notüberläufe/Notabläufe weiter als 20 m auseinander, ist die Wassertiefe im Hochpunkt der Notentwässerungsströmung mindestens mit dem zweifachen Wert für die erforderliche Druckhöhe h am Notüberlauf/Notablauf anzunehmen. Hierbei gilt:
W = 2 · h (mm)
Bei diesem Ansatz entspricht W der Wassertiefe der Notentwässerungsströmung in mm und h der Druckhöhe am Notüberlauf bzw. Notablauf
in mm.
Ermittlung der Notüberlaufsgröße
Die Ermittlung der Größe von rechteckigen Notüberläufen ist in Abschnitt 14.5.2 der DIN 1986-100 festgelegt. Es gilt die Formel:
LW = QNOT · 24 000 / h 1,5 (mm)
Wichtig dabei sind die Berücksichtigung der Breite der Notüberlaufs LW in mm und die Druckhöhe h am Notüberlauf in mm sowie der Wert QNOT der das Abflussvermögen des Notüberlaufs in Liter pro Sekunde (l/s) angibt. Dieses Berechnungsbeispiel verdeutlicht die Bestimmung der Breite der Notüberläufe LW in mm:
QNOT insgesamt = 53,3 l/s aufgeteilt auf sechs Notüberläufe
QNOT je Notüberlauf = 8,9 l/s
Druckhöhe h am Notüberlauf = 115 mm
Lösung: LW = 8,9 · 24 000 / (115)1,5
Ergebnis: LW = 173,2 mm (in der Praxis 175 mm)
Zur Ermittlung der Größe rechteckiger Notüberläufen kann auch gegebenenfalls Bild 39 der DIN 1986-100 verwendet werden. Die Größe von runden Notüberläufen ist in der DIN 1986-100 im Abschnitt 14.5.3 festgelegt. Zur Ermittlung der Größe von runden Notüberläufen stehen dort Bild 40 und Bild 41 zur Verfügung.
Inspektion und Wartung
Regelmäßige Inspektion und Wartung sind unabdingbar für den ordnungsgemäßen Betrieb von Dachentwässerungsanlagen einschließlich der Notentwässerungen. Damit das Niederschlagswasser zu jedem Zeitpunkt sicher abfließen kann, sind die Überprüfung und Reinigung von Dach- und Notabläufen von entscheidender Bedeutung. Die Anforderungen an die Inspektion und Wartung von Dachentwässerungsanlagen einschließlich Notentwässerungen sind in der DIN 1986-3 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Regeln für Betrieb und Wartung“ und in der Flachdachrichtlinie festgelegt.
Gemäß Abschnitt 5.3 der Flachdachrichtlinie umfassen Inspektionen die Feststellung des Zustandes der Abdichtung nach Augenschein, einschließlich der An- und Abschlüsse sowie der Dachdurchdringungen. Inspektionen sollen zweimal jährlich durchgeführt werden. Auf den Abschluss eines Inspektionsvertrages wird hingewiesen. Bei der Wartung nach Abschnitt 5.4 der Flachdachrichtlinie sollen beispielsweise folgende Arbeiten durchgeführt werden:
Art und Umfang der Wartungen sollen in einem Wartungsvertrag festgelegt werden. Wartungen sind mindestens zweimal jährlich durchzuführen.
Fazit
Die genaue Planung und Ausführung von Dach- und Notentwässerungen stellen höchste Anforderungen an die beteiligten Fachleute. Eine genaue Koordination zwischen Sanitär- und Bedachungsfachleuten, Architekten sowie Statikern ist die wichtigste Voraussetzung für sichere Dachentwässerungs- und Notentwässerungssysteme. Bei fehlender Erfahrung sollten die Beratungsfachleute der Hersteller hinzugezogen werden. 
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Quellenverzeichnis