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Rote Pavillons über dem Champ de Mars

Der 324 m hohe Turm mit seiner filigranen Fachwerkstruktur steht als symbolhafte Landmarke für seine Stadt wie weltweit kaum ein anderes Gebäude. Tag für Tag warten Tausende von Besuchern vor den Liften, um die spektakulären Aussichten von den beiden oberen Plattformen des Eiffelturms zu genießen. Um den wachsenden Publikumsverkehr in Zukunft angemessener zu verteilen, soll jetzt die als „urbaner Platz“ neu gestaltete erste Etage mit attraktiver Architektur und interessanten Einrichtungen neue Perspektiven nicht allein auf die Umgebung, sondern auch auf das Bauwerk selbst ermöglichen.

Am 14. Februar 1887 veröffentlichte die Tageszeitung Le Temps eine von 47 prominenten Malern, Bildhauern, Schriftstellern und Architekten unterzeichnete Petition gegen den Bau dieses „völlig nutzlosen und monströsen Turms“. Er würde in ästhetischer Hinsicht gewiss Schande über Paris bringen, lautete der Tenor, zumal nicht einmal das äußerst kommerziell eingestellte Amerika ihn haben wolle. Die hohe Akzeptanz der modernen, industriell geprägten Formensprache sollte dann allerdings eher seinen Befürwortern recht geben, und das wenig später fertiggestellte Bauwerk wurde schon bald zu einer weltweit mehr oder weniger erfolgreich kopierten bzw. adaptierten Architekturikone. Ein etwa halb so hoher Nachbau befindet sich heute auch im amerikanischen Las Vegas; den größten kommerziellen Erfolg verzeichnet allerdings nach wie vor Paris mit dem Original. Die ständig steigenden Besucherzahlen gipfelten im Jahr 2013 mit dem Verkauf von gut 7 Millionen Eintrittstickets, womit sich der Eiffelturm in der Beliebtheitsskala direkt hinter dem Louvre positioniert. Im Gegensatz zu dem berühmten Pariser Museum, einem der meistbesuchten weltweit, lockt der Eiffelturm allerdings nicht gerade mit seinem Innenleben: Es sind keine besonderen Räumlichkeiten zu entdecken, keine wertvollen Schätze zu bewundern. Man besucht den Turm hauptsächlich, um an möglichst klaren Tagen die weite Aussicht zu genießen, am liebsten von ganz oben. Der entsprechende Andrang auf den oberen beiden Plattformen nahm im Lauf der Jahre stetig zu; nur etwa die Hälfte der 7 Millionen Besucher machten zuletzt auch auf der ersten Etage halt.

Neugestaltung

Die neue Konzeption der unteren Plattform, realisiert vom Pariser Büro Moatti-Rivière nach gewonnenem Wettbewerb, eine Kombination aus Informationsparcours, Museumspräsentation, Restauration und einer völlig neuen Erfahrbarkeit der Gebäudedimensionen, soll den Besucherstrom jetzt verstärkt auch auf diese Ebene lenken. Der Zwischenstopp auf dem Weg nach oben wird so zum individuellen Erlebnis: Auf dem umlaufenden Balkon dieser Etage, der den leeren Raum zwischen dem darunterliegenden Marsfeld und der Plattform der zweiten Etage säumt, wurde eine spannende Wechselbeziehung zwischen Außen- und Innenräumen realisiert. Drei Pavillons in einheitlicher Material- und Formensprache, in rechten Winkeln zueinander zwischen jeweils zwei benachbarten Turmpfeilern positioniert, geben durch ihre großzügig verglasten, doppelt gewölbten Fronten und Rückseiten den Blick nach innen auf das Turmzentrum sowie nach außen in die Stadtlandschaft frei. Die Fassadengeometrien folgen dabei exakt dem Neigungswinkel der Turmpfeiler, der hier in Höhe der ersten Etage 17 Grad beträgt, betonen damit die Aufwärtsbewegung der Gesamtkonstruktion, während die mächtigen Metallstreben der verglasten Flächen mit ihren gekreuzten Bögen diesen Aufwärtsdrang mit dem Metallfachwerkdesign des Turms kombinieren. Dächer und Fassadenflächen der Pavillons sind mit einem System aus großformatigen Pohl-Europaneelen bekleidet, die aufgrund der geneigten Geometrien in einem 3D-Modell entworfen und anschließend 1:1 per Laserzuschnitt gefertigt wurden. In einem speziellen Verfahren ließ der Hersteller die Aluminiumbleche dann eloxieren und adsorptiv färben, um die ganz besondere, von den Architekten gewünschte Farbwirkung zu erreichen und auf sehr lange Sicht zu gewährleisten. Je nach natürlichem Lichteinfall wechselt der Farbeindruck jetzt zwischen einem sehr intensiven Rot und einem schlichten Braunton.

Eines der wichtigsten Ziele des Projektes war eine neue Wahrnehmung des Turms und seiner Umgebung von der ersten Etage aus. Im Ergebnis sollte eine größere Transparenz geschaffen werden, nicht nur mit weiteren Perspektiven auf Paris, sondern vor allem auch auf die innere Struktur des Turms sowie auf den von dessen Pfeilern eingerahmten Platz. Diese Vorgabe wurde im Wesentlichen durch die Installation eines „gläsernen Zauns“ um den Innenrand des umlaufenden Balkons erfüllt sowie durch die transparente Ausführung des Bodenmaterials unmittelbar vor dem Glaszaun. Durch die so geschaffene Vogelperspektive aus 57 m Höhe durch den Fußboden auf den Platz unter dem Turm wird die Attraktivität der ersten Etage enorm gesteigert. Mit einem Blick auf die Pfeilerkonstruktion durch den Glasboden erkennt man den direkten Bezug der neuen Gestaltungselemente auf die großartige Linienführung des Eiffelturms. Die metallenen Pfosten des gläsernen Zaunes folgen wie die Pavillonfassaden der Turmpfeilerneigung von 17 Grad; so wird man visuell zum Zentrum des Turmes gezogen, vor den Glaszaun und auf den gläsernen Fußboden, hin zur Erfahrbarkeit des leeren Raums zwischen der Plattform und dem Marsfeld in 57 m Tiefe. Der Besucher soll dem leeren Raum so nahe wie möglich kommen können, bis zum Grenzpunkt unmittelbar vor dem freien Fall, an der Schwelle zwischen Fallen und Schweben. Bei Nacht ist diese Erfahrung am intensivsten; die Illusion einer Reise auf einem schwebenden Ballon ist dann nahezu perfekt.

Fassadenrenovierung gestaltet Pavillons neu

Der zentrale, durch die aktuelle Fassadenrenovierung neu gestaltete Pavillon beherbergt das zweigeschossige Restaurant 58 Tour Eiffel, das vor wenigen Jahren noch eine komplette Innenrenovierung erfahren hatte. Der Gustave-Eiffel-Pavillon, ein volumenfüllender Mehrzwecksaal mit 200 Sitzplätzen und Servicebereichen, sowie der doppelstöckige Ferrié-Pavillon mit Museum, Relax-Bereich, Toiletten, Shop, Schnellrestaurant und Infostand sind komplette Neubauten. Schon draußen, auf der Plattform, die als urbaner Platz erfahrbar ist, weisen zwei Kioske – ebenso wie die Pavillons und Liftfoyers mit rot eloxierten Aluminiumschindeln bekleidet – mit ihren Infodisplays auf das neue Vermittlungssystem hin, das sich im musealen Bereich des Ferrié-Pavillons fortsetzt. Hier verdeutlichen bedruckte gläserne Infoboxen den großen Einfluss des Eiffelturms anhand von Reproduktionen unterschiedlichster bekannter Objekte, deren Gestaltung von seiner Formensprache inspiriert wurde. Auf Bildschirmen können Besucher das Buch „La tour de 300 mètres“ von Gustave Eiffel durchblättern, das alle Zeichnungen und Pläne seines Ingenieurbüros zur Turmkonstruktion enthält. Und in einer umfassenden Präsentation im Gustave-Eiffel-Studio werden Filme auf mehrere Leinwände projiziert, um die starken Bindungen zwischen dem Turm und der Stadt zu veranschaulichen. Die Bauarbeiten stellten in mehrfacher Hinsicht eine enorme Herausforderung dar.

Anspruchsvolle Bauaufgabe

Ablesbar ist dies an der Länge der 26 Monate dauernden Bauphase – eine lange Zeit im Vergleich zu den zwei Jahren, die seinerzeit für den kompletten Bau des Eiffelturms benötigt wurden. Die Umbauarbeiten an der bestehenden Turmstruktur erforderten allerdings auch ein völlig anderes Vorgehen. Um die vorhandene Stahlgitterstruktur in keiner Weise zu beeinträchtigen, waren Befestigungen durch Bohren, Schrauben oder Schweißen nicht zulässig. Jedes hinzugefügte Element musste an die bestehende Struktur geklammert werden. Da gewöhnliche verschraubte Konstruktionen allerdings etwa zehnmal so stabil sind, ist eine entsprechend sensiblere Konstruktionsplanung und Ausführung solcher Lösungen entscheidend.

Die Problematik der Lastverteilung sowie besondere Anforderungen aufgrund der Höhe und Erschließung der Baustelle erforderten ebenfalls spezielle Vorgehensweisen. Vor jeglicher Belastung der Struktur musste zunächst das entsprechende vorhandene Gewicht entfernt werden. Jedes angelieferte Bauteil wurde also gewogen, bevor es auf die liftbetriebene zentrale Plattform geladen werden konnte, die zugleich als Versorgungsbühne und erweiterter Arbeitsbereich auf der ersten Etage genutzt wurde. Die für diesen Zweck eigens konstruierte 200 m² große Plattform diente während der gesamten Bauphase als schwebende Baustelle in 57 m Höhe und hat erheblich dazu beigetragen, die Turmerschließung für den ununterbrochenen Publikumsverkehr nicht zu beeinträchtigen.

Hohe Ansprüche galten ebenso für die Entwicklung und Vorfertigung der Baumaterialien. So wurde die spezielle nachhaltige Rotfärbung der Aluminium-Fassadenbleche durch ein als Sandalor-Kombi bezeichnetes dreistufiges Verfahren erzielt. Dabei wird das Material nach einer farblosen Anodisation in einer Metallsalzlösung porentief vorgefärbt; in der dritten Stufe wird die Oberfläche dann mit einer Farbstofflösung adsorptiv überfärbt. Das anschließende Verdichten der farbhaltigen Materialporen entspricht einer hochgradigen Konservierung. Das Ergebnis ist eine sehr hohe Licht- und Witterungsbeständigkeit – der Oberflächenfarbton bleibt somit über Jahrzehnte unverändert. War der Werterhalt der Metallfassaden durch die Wahl des korrosionsbeständigen, langlebigen und voll recyclingfähigen Werkstoffs Aluminium sowie der im Fall einer Beschädigung leichten Austauschbarkeit der Paneele bereits gewährleistet, so garantiert die besondere Oberflächenbehandlung neben der beeindruckenden Färbung auch Graffitischutz und hohe Belastbarkeit.

Mathematisches Fassadenprinzip

Die Geometrisierung der Pavillonfassaden mit ihrer doppelten Wölbung erfolgte nach dem mathematischen Prinzip der Diskretisierung. In diesem Verfahren werden die Oberflächen in kleine Einheiten unterteilt, die nach dem Aneinanderfügen die gewünschte Form aus einfachen Elementen zusammengesetzt entstehen lassen. Die Produktion der Glaselemente für den 128 m² großen transparenten Bereich erforderte im Vorfeld eine 18 Monate lange Forschungs- und Entwicklungsphase. Der Bodenbereich sollte so transparent wie möglich, aber auch absolut rutschfest ausgeführt werden. Dazu wurden schließlich emaillierte Rasterpunkte, eine Kombination aus Glasemaille und Abrasivstoffen, im Siebdruckverfahren hergestellt und auf die Glasoberflächen aufgetragen.

Der Besucher steht jetzt gleichsam über dem leeren Raum schwebend auf der Glasfläche ebenso sicher und fest wie auf dem Marsfeld 57 m weiter unten. Der Schriftsteller Guy de Maupassant, einer der Unterzeichner der Petition von 1887, nahm oft sein Mittagessen im Restaurant des Eiffelturms ein – angeblich, weil er dort einen Ort in Paris gefunden hatte, von wo aus er das verhasste Bauwerk nicht sehen musste. Von einem der heute schon weit im voraus reservierten Fensterplätze im Restaurant 58 Tour Eiffel könnte er einen spektakulären Ausblick auf Paris, den Champ de Mars unter dem Turm sowie auf die Innenseiten der Pfeilerstruktur genießen, der ihm die Linienführung der Pariser Landmarke von Mahl zu Mahl bestimmt ein wenig näher erschließen würde.

Bautafel

Zweck:Rückbau und Neugestaltung des Gustave-Eiffel-Pavillons mit Einrichtung eines Mehrzwecksaals sowie des Ferrié-Pavillons mit seinem Informationsraum und einem Relax-Bereich. Gesamtfläche 800 m²

Bauherr:SETE (Société d‘exploitation de la tour Eiffel), Paris

Architektur, Planung:Agence Moatti-Rivière, Paris

Generalbauunternehmer:Bateg, Vélizy-Villacoublay, Frankreich

Fassadenbau:RFR, Paris

Fassadensystem:Pohl Europaneel

Planung und Vorfertigung:Christian Pohl GmbH, Köln

Text und Fotos:Klaus Sikora/Christian Pohl GmbH, Köln

Zeichnungen: Moatti-Rivière

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