Um es vorwegzunehmen: Valentin Schnyder ist eine ehrliche Haut. Der 47-jährige Spenglermeister aus Elgg in der Schweiz glaubt an das Gute im Menschen – daran, dass Gleichgesinnte gemeinsame Ziele schneller erreichen, wenn sie bestimmte Tugenden verinnerlicht haben. Wahrheit, Gerechtigkeit und Vertrauen gehören beispielsweise dazu. Aber auch Mut und Standhaftigkeit. „Geschäftspartner übers Ohr zu hauen geht hingegen gar nicht“, ist Valentin überzeugt und weiter: „Besonders auf dem Bau, wo unterschiedliche Gewerke ein gemeinsames Ziel verfolgen – nämlich das Schaffen eines funktionierenden Bauwerks – ist vertrauensvolles Miteinander die mitunter wichtigste Grundvoraussetzung. Übrigens nicht nur zwischen den Berufsleuten, sondern auch zwischen Handwerkern, Planern, Architekten, Bauherren und allen anderen am Bau beteiligten Personen.“ Valentin ist überzeugt: „Früher oder später wird sich eine neue Arbeitsweise etablieren. Und auch der Handel sowie die Zulieferindustrie beziehungsweise Spediteure werden davon betroffen sein. Andernfalls …“
Mit der flächendeckenden Einführung von PCs hat sich unsere Arbeitswelt viel stärker verändert, als es durch die Erfindung der Dampfmaschine oder des Automobils der Fall war.
Bild: Schnyder
Lust auf morgen
Ich treffe Valentin Schnyder – wie kann es anders sein – in seinem zweiten Wohnzimmer, dem Besprechungsraum des Fachbetriebs Spenglerei Schnyder AG in Elgg bei Winterthur. Zur Begrüßung springt mich ein Foto von mir in knallgelbem T-Shirt an. Es prangt auf einem Großbildmonitor – „Herzlich willkommen, BAUMETALL“ steht daneben. Das ist kein Special Effect, sondern üblich im Fachbetrieb Schnyder, wo Besucher, Berufskollegen und wissbegierige Partner generell sehr herzlich begrüßt werden.
Was dann folgt, habe ich in meinen zurückliegenden 16 Jahren bei BAUMETALL noch nie erlebt: Anstatt sich im Gespräch anzunähern und das Interview langsam Fahrt aufnehmen zu lassen, gibt Turbospengler Valentin Schnyder Vollgas. Perfekt vorbereitet präsentiert er eine PowerPoint-Folie nach der anderen – nimmt mich mit auf eine Reise, die im Zeitalter der Dampflokomotive beginnt. Er spricht verschiedene Epochen der Industrialisierung an und erwähnt den Wilden Westen gleichermaßen wie das Europa unserer Gründerväter. Schnell wird klar, wo die Zeitreise hinführt: geradewegs in Richtung stetig voranschreitender Wandel. Schon bald sprechen wir über bahnbrechende Erfindungen, die ganze Berufsgruppen überflüssig machten. Über Neues, das oft zaghaft beginnt und noch öfter ungeahnte Chancen mit sich bringt. „Die Einführung der ersten Computer in den 1970er-Jahren ist solch ein Beispiel“, sagt Valentin. Dann macht er eine bedächtige Pause und holt Luft. Fast entsteht der Eindruck, als wolle er seine Präsentationsgeschwindigkeit dem Tempo der industriellen Entwicklung anpassen: „Mit der flächendeckenden Einführung von PCs hat sich unsere Arbeitswelt viel stärker verändert, als es durch die Erfindung der Dampfmaschine oder des Automobils jemals der Fall war.“ Was jetzt kommt, raubt nicht nur mir, sondern sicherlich auch zahlreichen BAUMETALL-Lesern den Atem …
Spenglerlehre 4.0
So wie sich die Anforderungen an die Arbeitswelt entwickeln, müssen auch entsprechende Berufsausbildungen weiterentwickelt bzw. angepasst werden. Das gilt selbstverständlich auch für die Ausbildung zum Spengler. Doch nicht immer und schon gar nicht überall im D.A.CH.S.-Raum befinden sind entsprechende Rahmenlehrpläne auf der Höhe der Zeit. „Mit Einführung der vierjährigen Spenglerlehre haben zumindest die Kollegen in der Schweiz großen Mut und große Weitsicht bewiesen“, sagt Valentin. Er ist ebenso wie zahlreiche seiner Mitstreiter davon überzeugt, dass das Aufgabenspektrum moderner Spengler unaufhaltsam weiterwachsen wird: „In der Schweiz haben wir keine klassischen Schulfächer mehr. Stattdessen wurde die gesamte Ausbildung in die 27 Handlungen aufgeteilt. Dazu zählen zum Beispiel:
Valentin ist überzeugt davon, dass diese handlungsorientierte Ausbildung eine viel bessere Zusammenarbeit zwischen Betrieb, Kurs und Schule ermöglicht. Natürlich werde auf die Vermittlung klassischer Grundkenntnisse wie Bördeln, Schweifen und Falzen keinesfalls verzichtet, denn, so ist sich Valentin sicher: „Diese Skills finden sich alle in der modernen Berufsbildung in mindestens einer der Handlungskompetenzen wieder. Das ist wichtig, denn sie zählen mit zum größten Vorteil der Spenglerbranche – nämlich die Wertschöpfung im eigenen Betrieb zu halten.“ Oder anders ausgedrückt: Ein Gefühl für die handwerkliche Blechbearbeitung gehört mitunter zu den wichtigsten Grundkenntnissen eines Spenglers. Wer diese enorme Bandbreite genauer betrachtet, erkennt: „Der Beruf des Spenglers ist nicht nur attraktiv, sondern überaus zukunftssicher. Mit diesen Argumenten kann es gelingen, junge Menschen davon zu überzeugen, was in uns Spenglern steckt bzw. stecken muss“, sagt Valentin: „Wir sind nicht nur Handwerker, sondern auch Konstrukteure, Metallbildner, Planer, Logistiker und Programmierer. Und wir sollten Experten für digitale Bauprozesse sein oder schleunigst zu solchen werden!“
Digitaler Booster
„Erinnerst du dich noch an die Zeit, als unter nahezu jedem Schreibtisch ein PC-Lüfter summte?“, möchte Valentin von mir wissen.Natürlich erinnere ich mich daran. Das war quasi noch gestern der Fall. Nahezu unbemerkt wurden solche Systeme gegen Arbeitsgeräte mit cloudbasierter Software ausgetauscht. Doch was hat all das mit dem Spenglerhandwerk zu tun? Valentins Antwort ist gleichermaßen einfach wie praktisch: „Jeder Spengler kann ein Lied von der Suche nach der aktuellen Planversion singen. Oft kommt es zum Beispiel vor, dass die Arbeit nach Planversion 08/15 ausgeführt wurde. In der Zwischenzeit wurde zwar das entsprechende Detail vom Folgehandwerker oder vom Planer weiterentwickelt, doch der aktuelle Planstand 08/16 wurde nicht rechtzeitig weitergegeben. Die Folge: Das aktuelle Detail hat es einfach nicht aufs Dach geschafft.“ Laut Valentin ist die Einführung gewerkeübergreifender und cloudbasierter Zusammenarbeit ein enormer Vorteil. Alle Beteiligten haben dadurch Zugriff auf die jeweils aktuellste Planungsversion, und zwar unabhängig davon, ob Lieferanten, Planer oder ausführende Gesellen entsprechende Informationen benötigen. Valentin betont: „Wichtig ist nur, dass alle im Team gleichberechtigten Zugang erhalten, und zwar ausnahmslos alle – vom Architekten bis zum Azubi. Ohne Wenn und Aber!“
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
Ich erinnere mich an eine Aussage des Philosophen Julian Nida-Rümelin: Der Kern des Menschseins bestehe darin, dass sich Menschen von Argumenten beeinflussen ließen und sie daher in der Lage seien, Urheber ihres eigenen Lebens zu sein. Laut Nida-Rümelin ist dies aber eng damit verbunden, dass ein Mensch frei sein muss, selbst Entscheidungen zu treffen und diese anschließend auch zu verantworten. Diese Freiheit beruht wiederum auf dem Glauben, dass der Mensch grundsätzlich gut sei und gute Entscheidungen treffen könne. Genau dieses Grundverständnis bringt Valentin seinen Geschäftspartnern und Mitarbeitern entgegen. Er agiert auf Augenhöhe – verabredet Geschäfte gerne per Handschlag und steht zu seinem Wort als ehrenhafter Handwerker. Dass diese Art der Geschäftsführung dank Digitalisierung vor allem auch bei Großprojekten funktionieren kann, beweist Valentin am Beispiel eines erst kürzlich errichteten Heizkraftwerkes:
Von viel Theorie zu noch mehr Praxis
Valentin Schnyder wäre nicht er selbst, wenn er verpasst hätte, seine oben genannten Theorien ausgiebig getestet und für gut befunden zu haben. Kurz: Der Turbospengler aus Elgg hat die hier aufgeführten Behauptungen erfolgreich in die Tat umgesetzt. Wie, erklärt er mir am Beispiel des klimapositiven Holzheizkraftwerks für Frauenfeld: „An diesem hochkomplexen Bauvorhaben wird deutlich, wie die Baupraxis von morgen schon heute realisiert werden kann bzw. von uns realisiert wurde. Grundvoraussetzung unserer erfolgreichen Projektabwicklung war eben genau jene partnerschaftliche Zusammenarbeit“, sagt Valentin. Dann spielt er einige YouTube-Videos ab und verweist auf die öffentliche Berichterstattung von www.energie360.ch. Dort ist zum Beispiel Folgendes nachzulesen:
„Gemeinsam realisieren die Schweizer Zucker AG (SZU) und die Zürcher Energie- und Mobilitätsdienstleisterin Energie 360° in Frauenfeld ein Holzheizkraftwerk. Sie gründen dazu das Unternehmen Bioenergie Frauenfeld AG, das Strom, Wärme und Biokohle produziert. Der klimafreundliche Strom wird ins Netz eingespeist, Abnehmerinnen der Wärme werden die Zuckerfabrik und die Stadt Frauenfeld … Romeo Deplazes, Bereichsleiter Lösungen bei Energie 360°, betont die Vorteile des Projekts: ‚Das Holzheizkraftwerk ist ein perfektes Beispiel dafür, wie erneuerbare Energie dezentral hergestellt und genutzt wird. Es ist die Art von Projekt, die es für die Energiewende braucht. Darüber hinaus nutzt Bioenergie Frauenfeld den Rohstoff Holz äußerst effizient, weil sie neben Strom und Wärme auch wertvolle Biokohle herstellt.‘
Die moderne Anlage ist eine der größten ihrer Art in Europa – die visionäre Art der partnerschaftlichen Zusammenarbeit erstreckt sich von der Projektierung bis zur Fertigstellung.“
Genaue Bauvorgaben durch digitalen Zwilling
„Wir waren vom Anfang an in das Projektmanagement mit eingebunden“, schwärmt Valentin: „Im Expertenteam haben wir zuerst einen digitalen Zwilling des Bauvorhabens erstellt. Das war viel einfacher und effektiver als die herkömmliche Herangehensweise. Wenn Rohbauunternehmer, Fensterbauer, Zimmerer oder eben Spengler die Planer von Anfang an unterstützen, wird nichts übersehen – werden Fehlerquellen von vornherein ausgeschlossen.“ Wichtigste Bedingung ist: „Alle Handwerker müssen sich bei der Bauausführung eins zu eins am digitalen Projektzwilling orientieren.“ Das Ergebnis sei dann, so Valentin, dass Materialien verbindlich vorgefertigt oder bestellt werden können, noch bevor der erste Stein gesetzt oder die erste Wand aufgestellt wurde. Der digitale Zwilling gebe außerdem auch Orientierung bei der Erstellung der Bauzeitenplanung, die im Team verbindlich gelinge und in der Praxis zuverlässig funktioniere.
Erwartungsgemäß erfolgte die Durchführung aller Bauarbeiten im Zeitplan und (wichtig!) unter Einhaltung des am Projektstart gemeinsam ermittelten Budgets. Auftraggeber Bioenergie Frauenfeld lässt daran keinen Zweifel aufkommen. Auf www.bioenergie-frauenfeld.ch werden konsequent alle Partner genannt und mit entsprechenden Widmungen vorgestellt. Valentin freut sich zu Recht über die Erwähnung seines Fachbetriebs. Dort heißt es:
„Die Kernkompetenzen der Spenglerei Schnyder AG sind die Erstellung von hinterlüfteten Metallfassaden, das Abdichten von Flachdächern, Doppelfalzdächer in allen möglichen Formen und auch die Ausführung komplexer Spenglerarbeiten. Dabei hebt sie sich dank innovativer Ideen, optimierten Arbeitsabläufen und einer ausgeklügelten Logistik immer wieder von ihren Mitbewerbern ab.“
Durchgängig, und zwar durch und durch!
Genauso wie die Zusammenarbeit erst durch den bedingungslosen Datenaustausch aller Beteiligten zum Erfolg geführt hat, sorgt eine durchgängige Digitalisierung im Fachbetrieb Schnyder für perfekte Ergebnisse. Datenaufnahme sowie Weitergabe der Datensätze an das Werkstattteam und die anschließende Kommissionierung aller Profile und Bauteile laufen Hand in Hand. Eines der wichtigsten Hilfsmittel ist Bendex: eine modular aufgebaute, voll integrierbare Softwarelösung zur Planung und Produktion von Biegeteilen. Das innovative System versetzt jeden Spengler in die Lage, Biegeteile z. B. per Freihandeingabe via Tablet-Computer in Sekundenschnelle zu erfassen, zu kalkulieren, als Arbeitspapier auszugeben und entsprechende Datensätze zur Herstellung an nahezu alle marktüblichen Maschinen weiterzugeben. Bendex erleichtert die Herstellung von Profilen sowie aller erforderlichen Ausklinkungen, Stanzungen, Gärungsschnitte und vieles mehr.
Andernfalls …
Einwände und Ausflüchte wie „Das klappt ja nur bei Großprojekten“ oder „Das kann ich mir als Betrieb mit vier Mitarbeitern überhaupt nicht leisten“ lässt Valentin Schnyder nicht gelten. Aber was genau ist dieses ominöse „das“? Die Digitalisierung? Der Einsatz moderner und funktionierender Systeme? Das Gehen mit der Zeit? „Fakt ist“, betont Valentin, „die Digitalisierung samt aller damit verbundenen Entwicklungen geht nicht mehr weg. Wer sich nicht eingängig mit entsprechenden Anforderungen und damit verbundenen Möglichkeiten beschäftigt, hat in der Welt zeitgemäßen Bauens kein Zukunftschance.“ Das sitzt und mir kommt fast vollautomatisch der Ausspruch „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit“ in den Sinn. Es ist also höchste Zeit, andernfalls … 
Info
Erfahrungsaustausch
KOLLEGEN IM GESPRАCH
Sie möchten sich mit Kollegen über geeignete Maßnahmen rund um die Digitalisierung Ihres
Fachbetriebs austauschen? BM Digital – das Anwendernetzwerk macht es möglich. Interessenten treffen sich dazu mit Valentin Schnyder und anderen innovativen Spenglern und Klempnern. Bewerbungsunterlagen zur kostenfreien Teilnahme sowie Infos zu den Terminen erhalten interessierte Handwerker nach einer E-Mail an: redaktion@baumetall.de
Info
Klimapositives Holzheizkraftwerk für Frauenfeld
Energie 360° und Schweizer Zucker realisierten in Frauenfeld ein Holzheizkraftwerk, das Strom für rund 8000 Haushalte sowie Wärme für die Zuckerfabrik und den Verbund „Wärme Frauenfeld West“ bereitstellt.
Die bei der Stromproduktion gewonnene Biokohle entzieht der Atmosphäre zudem dauerhaft CO2. www.energie360.ch
Links und Nachweise
• Schweizer Zucker AG, www.zucker.ch
• www.bioenergie-frauenfeld.ch
• Fachbetrieb: https://spenglerei-schnyder.ch
• Softwarelösung für Biegeteile, modular und integrierbar:
www.gesacon.ch
Erfahrungsaustausch-Gruppe BM Digital
• Termine und Infos zur kostenfreien Teilnahme anfordern bei:
redaktion@baumetall.de / Stichwort: „BM Digital“
• Lesetipp:
www.baumetall.de/bm-digital/spenglertradition-entstauben