Digitalisierung und Industrie 4.0 sind nur für Großunternehmen interessant? Weit gefehlt. Das Team der österreichischen Spenglerei Hermann Dagn GmbH und seine Vorfertigung zeigen, wie sich Vernetzung und innovative Technologien im Handwerk einsetzen lassen – und wie Kunden und Betriebe davon profitieren. Im Zentrum: eine Schröder-Schwenkbiegemaschine.
Alexander Lehnen, Leiter der Vorfertigung, sitzt vor zwei Monitoren, macht die letzten Korrekturen an den CAD-Zeichnungen der Werkstücke für eine Baustelle und gibt den Gesamtauftrag dann für die Produktion frei. Was hier anders ist: Der gesamte Prozess in der kleinen Vorfertigung ist digitalisiert und vernetzt. Die Steuerung erfolgt über die Software Bendex des österreichischen Anbieters Microsea – von der ersten Zeichnung über Zuschnitt und Blechbiegen bis zum Transport auf die Baustelle. Und so beginnt die Anlage für den Zuschnitt, eine Krasser Centurio, das richtige Blech von einem der Coils zu ziehen und die Teile zuzuschneiden. In einem Zug wird auf jeden Zuschnitt ein Datamatrix-Code gedruckt. Eine Mitarbeiterin übernimmt die zugeschnittenen Bleche und scannt deren Codes an der Blechbiegemaschine Schröder PowerBend Professional ein. Damit werden automatisch die zugehörigen Biegeprogramme aufgerufen und die Mitarbeiterin beginnt nach dem Einlegen der Bleche den Biegeprozess. Jeder Schritt wird am Monitor der PowerBend Professional visualisiert. Die Zuschnitte für eine Baustelle werden gesammelt, konfektioniert und für den Transport vorbereitet. Aus der Software kommen auch die Versandpapiere inklusive Gewicht etc.
„Unsere Vorfertigung ist von der CAD-Zeichnung bis zum Versand komplett über die Software Bendex integriert – inklusive Maschinenansteuerung. Das hat enorme Vorteile. Die Vorbereitungen des Materials für die Baustellen laufen nicht nur erheblich schneller, alles läuft auch deutlich transparenter und zuverlässiger“, erläutert Alexander Lehnen.
Offen für Innovationen
Wie kommt ein mittelständischer Handwerksbetrieb auf solche Ideen? Der Familienbetrieb Hermann Dagn GmbH ist seit Jahren eine lokale Größe in Tirol. Die knapp 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spenglerei arbeiten auf Baustellen in allen Teilen Österreichs. Aber auch im benachbarten Bayern, am Gardasee und sogar in London findet das sympathische Team seine Kunden. Dächer und Fassaden werden für Liftanlagen, Hotels, Industriebauten, öffentliche Verwaltungen bis hin zu Schulen und Privathäusern erstellt.
Der Familie Dagn liegt die Spenglerei im Blut. Noch heute lässt sich Firmengründer Hermann Dagn im Betrieb sehen. Und auch sein Bruder hat einen Spenglerbetrieb – in Sydney, Australien – und hat dort ebenso die Bendex-Software integriert. „Mein Vater ist Dachdecker und Spengler mit Leib und Seele, er war dabei aber immer auch Visionär und hat sehr früh auf Maschinen und Vorfertigung abseits der Baustelle gesetzt – mit Erfolg. Vielleicht erklärt dies, warum wir keine Berührungsängste gegenüber neuen Technologien haben“, erzählt Nadine Dagn. Die Tochter des Firmengründers leitet heute gemeinsam mit ihrer Schwester Fiona Dagn und Martin Kerschbaumer den Familienbetrieb.
Langjährige Partnerschaft
Mit der Firma Hans Schröder Maschinenbau verbindet die Österreicher eine langjährige Partnerschaft. So leistet eine schon 1978 angeschaffte Schröder-Schlagschere weiter treue Dienste in der Vorfertigung. Andere Schröder-Maschinen komplettieren den Gerätepark. Als man bei der Hermann Dagn GmbH über die Anschaffung einer Zuschnittanlage und deren Integration in die Software Bendex nachdachte, war es ganz natürlich, dass man auch mit Schröder über eine Anbindung der 2015 angeschafften PowerBend Schwenkbiegemaschine ins Gespräch kam. Die Grundidee der Bendex-Software ist es, den gesamten Arbeitsprozess in der Spenglerei von der ersten Kundenanfrage über Angebot und Produktionssteuerung bis zur Abrechnung in einer Software zu integrieren. „Auf die meisten Anfragen können wir extrem schnell reagieren, weil die meisten Bauteile für Dächer und Fassaden häufig Variationen bestehender, bereits im CAD vorhandener Elemente sind. Ein paar Anpassungen der Maße und fertig ist das Angebot. Und das Beste: Gibt der Kunde dann den Auftrag, können wir daraus direkt die Produktion und die Maschinen steuern“, so Alexander Lehnen.
Damit das funktioniert, hat die Firma Schröder die eigene selbst entwickelte Steuerung und Software der PowerBend Professional an die Bendex-Software angebunden. Ein umfangreiches Projekt: Bis zur Freigabe bei der Hermann Dagn GmbH entwickelten und testeten die Softwareingenieure bei Schröder und Bendex fast ein Jahr. Mit Erfolg: Jetzt lässt sich der Blechbiegeprozess aus der Bendex-Software heraus anstoßen und die Präzision der Maschine und effizienzsteigernde Optionen wie die Up-and-down-Biegewange lassen sich in vollem Umfang einsetzen. Eine Integrationsarbeit, von der künftig auch andere Anwender von Schröder-Maschinen und Bendex-Software profitieren.
Die Zukunft im Blick
„Uns geht es um Zukunftssicherung. Mit den Schröder-Maschinen garantieren wir höchste Qualität in der Bearbeitung. Über Digitalisierung und Integration steigern wir jetzt unsere Produktivität. Gleichzeitig eröffnen wir uns Wachstumschancen. Wir verarbeiten heute etwa 100 t Stahlbleche im Jahr. In zwei Jahren wollen wir uns auf 160 t steigern, auch weil wir anderen Handwerksbetrieben Vorfertigungsdienstleistungen anbieten wollen“, erklärt Nadine Dagn. „Längerfristig streben wir an, dass Spengler ihre CAD-Daten über unseren Onlineshop direkt in Bendex eingeben können und dann sofort und automatisiert Kosten und Liefertermine erhalten.“
Ein ungewöhnlicher Weg für einen mittelständischen Handwerksbetrieb. Und ein Weg, der in der Branche und bei Handwerkskammern bereits viel beachtet und von staatlichen Stellen über Digitalisierungsprämien gefördert wird. Bei der Hermann Dagn GmbH stehen die nächsten Investitionen und Projekte bereits an: Eine Laserschnittanlage soll Flexibilität und Möglichkeiten in der Vorfertigung weiter steigern und als weitere Materialzuführung für die Schwenkbiegemaschinen von Hans Schröder Maschinenbau dienen.