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Belle …poque neu aufgelegt

Zum geruhsamen Flanieren und Kaffeetrinken ist das beschauliche Bälliz in Thun die ideale Adresse. Auf einer Insel am südwestlichen Rand der Altstadt gelegen, beidseitig von der türkisblauen Aare umflossen, lädt das Viertel mit zahlreichen Boutiquen, internationalen Ladenketten, alteingesessenen Traditionsgeschäften, Märkten, Cafés und direkt am Wasser gelegenen Restaurants zum Verweilen, Shoppen und Genießen ein. Ein Bestandteil dieses historischen Ambientes ist das große Haus an der Aare, ein architektonisches Denkmal aus der Belle Époque, der Zeit um 1900.

Die Sanierung solch altehrwürdiger Gebäude stellt auch Spenglerfachbetriebe vor besondere Herausforderungen. Einerseits setzt der Erhalt der denkmalgeschützten Optik die gezielte Auswahl geeigneter Materialien voraus. Andererseits ist es wichtig, den historischen Charme trotz des Einsatzes moderner Techniken und Verfahren zu erhalten. Wenn beides gelingt, entsteht eine Hommage an die Leistungen unserer Vorfahren. Das im alten Stil hergestellte Neue öffnet dann den Blick gegenwärtiger und zukünftiger Generationen auf die architektonischen Highlights der Vergangenheit.

Etappen einer anspruchsvollen Sanierung

Das beeindruckende finale Gesamtbild ist das Resultat vieler kleiner, aber gezielter Einzelschritte und Entscheidungen. Um den zeitlichen Rahmen nicht zu überschreiten, wurden die Dachgauben und Profile vorgefertigt auf der Basis von Mustern, die im März und April 2016 demontiert worden waren. Der Abbruch des gesamten Daches begann dann im Juni, anschließend wurden alle Dachdeckungen samt Untergrund und Dämmung bis Februar 2017 neu erstellt, es wurde also auch den Winter hindurch gearbeitet. Der Aufbau der Dächer gestaltet sich wie folgt:

Hauptdach

  • Metalldach im Doppelstehfalz-System, Achsmaß 600 mm, Ausführung in Rheinzink prepatina blaugrau, 0,7 mm
  • Befestigungen Fest- und Schiebehafte aus Edelstahl
  • Offene Schalung, Bretterbreite 140 mm
  • Konterlatten 60/60 mm mit Schraubendichtungen
  • Winddichte, diffusionsoffene Unterdach-Schalungsbahn der Marke DeltaFox Plus
  • Bestehende Schalung auf Sparren
  • Darunterliegender „kalter“ Estrich (Halbgeschoss)

Die ca. 300 m2 Doppelstehfalzbahnen mit sämtlichen Ausschnitten, Abkantungen und Schrägstellungen wurden, wie viele weitere Bestandteile und Accessoires, bei guten Bedingungen und wetterunabhängig in der Werkstatt vorfabriziert.

Mansardendach

  • Deckung mit Rathscheck-Schiefer, Format 250 x 400 mm
  • Trennlage Bauder Top TS 25
  • Vollschalung mit Nut und Kamm, Bretterbreite 140 mm
  • Konterlatte 30/60 mm mit Schraubendichtungen
  • Winddichte, diffusionsoffene Unterdach-Schalungsbahn DeltaFox Plus
  • Bestehende Schalung auf Sparren

Manche der tragenden Bauteile, beispielsweise Sparren und Pfetten, mussten komplett ersetzt werden. Auf einer Dachfläche von ca. 200 m2 wurden 9000 Schieferplatten verlegt. Besonders interessant war die Produktion der vielen Details, denn alle Profile, Ornamente und Verzierungen mussten möglichst originalgetreu erstellt werden. Als Basis dienten historische Baupläne aus dem Jahre 1900 sowie die fachkundige Beratung des Denkmalpflegeamtes der Stadt Bern.

Zu den zahlreichen Details zählt auch die speziell angefertigte Schneefanganlage. Sie besteht aus rund 60 Edelstahl-Schneefanghalterungen mit einer Dicke von 5,0 mm. Außerdem wurden auf einer Länge von ca. 60 m Schneefang-Kreuzstege aus feuerverzinktem Stahl verbaut. Die Unterkonstruktion wurde in diesem Bereich durch zusätzliche, auf den Sparren aufgeschraubte Konstruktionshölzer verstärkt.

Geschwungene Profile

An Rinnen, Gesimsen und Vorsprüngen wurden geschwungene Titanzinkprofile montiert. Die Profil-Formgebung erfolgte per Steppfunktion auf einer Schwenkbiegemaschine des Typs RAS-Flexibend. Sämtliche

Profilgehrungen wurden in der Werkstatt angefertigt. Um saubere und haltbare Nähte zu gewährleisten, wurde die Patina auf zu lötenden Titanzink-Rückseiten im Bereich der Gehrungen abrasiv entfernt.

Balkon und Ziergeländer

Im Vorfeld der Restaurierung galt es, die alten Balkongeländer über der Aare mithilfe eines Krans zu demontieren. Keine leichte Arbeit: Dabei ging es um insgesamt neun Stück à 250 kg. Anschließend erfolgte die sorgfältige Prüfung der historischen Bauteile. Entsprechende Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten wurden in der Werkstatt durchgeführt. Die zahlreichen Ziergeländer konnten nicht instand gesetzt werden. Sie wurden komplett ersetzt und mit einer feuerverzinkten sowie einer thermisch beschichteten Oberfläche im Farbton Anthrazit ausgestattet.

Dachgauben

Der Reproduktion der Dachgauben ging die Bemusterung eines Einzelstückes voraus, welches als Modell für die Repliken diente. Die Profile für zehn Einzel- und sechs Doppelgauben wurden in der Werkstatt vorgefertigt. Ebenso die konkav bzw. konvex gerundeten Pfosten- bzw. Laibungsprofile sowie die Profile der Dachaufbauten. Zu den nachgebildeten Schmuckdetails an den Dachgauben gehörten auch Wulstzierbänder an Stirn- und Seitenteilen sowie 32 Schneckenornamente an den Lukarnenfüßen.

Anspruchsvolle Aufgaben waren darüber hinaus der Transport und die Baustellenlogistik, um die vorgefertigten Teile an Ort und Stelle zu bringen. Die ungünstige Bausituation aufgrund der Lage am Fluss und an der Brücke, einer Hauptverkehrsader der Stadt, wurde mithilfe eines mobilen Krans mit verlängertem Arm, der vom gegenüberliegenden Flussufer bis zum Dach reichte, gemeistert. Die Einhaltung der Vorgaben des Thuner Bauamts wurden dabei stets beachtet.

Lob der VDSS-Jury

Das Haus an der Aare wurde für den VDSS-Wettbewerb „Goldene Spenglerarbeit 2018“ nominiert. Für die Juroren stellt das Projekt eine wunderbar gelungene Sanierung geschützter Architektur aus der früheren Jahrhundertwende dar. Die Liebe zum Detail und das fachliche Können der Spengler sind hier unverkennbar. Die vielen An- und Abschlüsse mit Leisten- und Falzverbindungen auf den kleinen Aufbauten sind sehr beeindruckend und unterstreichen den Stellenwert des Denkmalschutzes. Imponiert haben im Besonderen die Konstellation Leiste-Falz auf kleinstem Raum, die Traufenden mit Wulst sowie die sauberen, stumpfen Lötgehrungen. Kurz: Das Dach ist eine spenglertechnische Augenweide und für eine lange Zukunft gewappnet!

Bautafel

Projekt: Gebäude Bälliz 12, Thun

Bauherr: Mayencourt Nicolas, p.A. Adlatus AG, Liebefeld

Architektur: Adlatus AG Real Estate Partners, Samuel Meier, Biel

Fachbetrieb: Ramseyer und Dilger AG, Bern

Material: Rheinzink prepatina blaugrau 0,70 mm

Dachdeckung: Rathscheck-Schiefer

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