Eine Staubfahne nähert sich einem Landwirtschaftsgebäude im Nordschwarzwald. Schemenhaft zeigen sich erste Konturen und schnell wird klar, dass die Feldwegoberfläche nicht von einem gewöhnlichen Fahrzeug aufgewirbelt wird. Langsam verwandeln sich Umrisse in Bilder und erinnern dabei an ein Hollywood-Roadmovie. Am Steuer eines 1969er Chevrolet Impala sitzt ein Mann mit Dreitagebart, dem man einen gewissen Sinn für Extravagantes von weitem ansieht. Ein blau getupftes Tuch um die Stirn gewickelt und den Oberarm lässig auf dem Türblatt liegend, rangiert er den Wagen auf dem geschotterten Platz. Der letzte Staub verzieht sich und gibt den Blick auf die übergroße Motorhaube des Cabrios frei, aus deren weißem Untergrund sich zwei große kupferne Adlerköpfe erheben. Stimmen dringen von der Stallung auf den Parkplatz hinüber. „Roger ist da! Habt ihr sein Auto gesehen?“
Schauplatz dieser filmreifen Szene war die Rotfeldener Kamelfarm im Sommer des Jahres 2004. Roger Wanner, Spenglermeister aus Wölflinswil in der Schweiz, zeigte dort im Rahmen des orientalischen Klempnerevents, wie aus einfachen Kupferplatten kunstvoll getriebene Bilder entstehen. Von der Art seiner Arbeitsmethoden begeistert, nahmen einige der anwesenden Klempner die Einladung zu einem der wannerschen Kunstspenglerkurse an und markierten somit den Beginn besonderer Kollegenbeziehungen. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Drachenschmied Roger Wanner, konnte bislang über 200 Kursteilnehmer in seiner „Drachenschmiede“ begrüßen – den Treuesten darunter bereits zum fünften Mal. Weitere Kurse folgten und damit verbunden unzählige Gegeneinladungen seitens der Kursteilnehmer, die den viel beschäftigten Kunstspengler vor ein Problem stellten, das nur mit einem Rundumschlag gelöst werden konnte.
On the Road again
Es ist Freitag, der 13. Juli – Startschuss zur Drachentour 2007. Wieder einmal passieren Roger und seine Frau Sonja die deutsch-schweizerische Grenze. Das Ziel: Norddeutschland. Wieder einmal rollt etwas Ungewöhnliches über den Asphalt und wieder einmal ziert Kupferkunst US-amerikanisches Karosserieblech – Airbrush-Landschaft inklusive. Drei Drachen schauen neugierig aus Motorhaube und Heck und schnell ist klar: Hier arbeiten Drachenstärken unter der Haube – und das nicht zu knapp! Etwa 650 km später leuchten die Augen des auf dem Fahrzeugheck platzierten Drachen rot auf (Bild 1.) weil der Drachenschmied die Bremse tritt. Ein Fußgänger bleibt mit offenem Munde stehen, als der Wagen vor einem Hotel im westfälischen Münster hält.
In ganz Deutschland besuchten die Wanners mit ihrem fantasievoll gestalteten Chevrolet Cavalier Klempnerkollegen mit viel Einfallsreichtum und Metalltalent. Sie verknüpften die Drachentour mit einem ausgiebigen Kulturprogramm und dem Themenschwerpunkt Klempnertechnik. Für einen Mann mit Kupferseele gehörte daher die Besichtigung der „Skulptur Projekte Münster 07“ (Bild 2.) ebenso wie der Werksbesuch beim Kupferhersteller KME in Osnabrück zum Pflichtprogramm. Nachdem Klempnermeister Wolf Fehse, einer der treuesten Kursteilnehmer der Wanners, „sein“ Klempner-Hannover (Bild 3.) präsentiert hatte fuhr das Drachenmobil nach Dresden weiter. Roger Wanner war von der Qualität ostdeutscher Klempnerarbeiten überrascht, doch es sollte noch besser werden.
Drachenstarke Begegnung in Zwickau
Ein Motorengeräusch vermischt sich mit sanftem Wasserplätschern. Eine Fahrzeuglackierung harmoniert mit bunter Haut und zwei Drachen sehen sich dabei tief in die Augen. Fließend bewegt sie sich hin und her – die Grenze guten Geschmacks. Buhlt mit einem Tattoo-Studio, einem chinesischen Kupferdrachen-Brunnen und einem Drachenmobil um Sympathie. (Bild 4.) Zwei gestandene Klempnermeister und deren hoffnungsvoller Nachwuchs beobachten die unwirkliche Szene. Sie schauen einander fragend an, nicht wissend, ob sich gerade ein Schlüsselerlebnis für zukünftige Klempner oder der farbige Klempnerhimmel auf Erden manifestiert. Es „klickt“. Ein Druck auf den Auslöser des Fotoapparates und der magische Moment löst sich auf um kurz darauf im August-Horch-Museum präsent zu sein. Wieder ist es Metallmagie, wieder ist es eine Fahrzeughülle und wieder ist es reinstes Staunen. Auf einem holzverstrebten Rahmen ruhen kunstvoll geschwungene, handgearbeitete Karosserieteile und erinnern dabei an metallische Gebäudehüllen und deren Holzunterkonstruktionen. (Bild 5.).
Das Bundesland Sachsen bildete den künstlerischen Höhepunkt der Drachentour. Beim Besuch des Kursteilnehmers Holger Wunderlich und dessen Schwiegervater Bernd Kempe im sächsischen Mülsen schlug Roger Wanners Drachenherz doppelt so schnell als sonst. Der Klempnerfachbetrieb Kempe ist bekannt für Präzision und entgegen dem Sprichwort vom Schuster mit den schlechtesten Schuhen, gab es an der Werkstatt und den Wohnhäusern der Familien Kempe und Wunderlich Klempnerkunst vom Feinsten zu bestaunen (Bild 6.) „Das sind mit die schönsten Klempnerarbeiten die ich in Deutschland gesehen habe“, lobte der Drachenschmied und lächelte zufrieden, als er einen Drachenkopfspeier an einem reich verzierten Kupferkessel entdeckte.
Aus Sachsen führte die Drachenspur nach Thüringen. In der 1000-Seelen-Gemeinde Frauenwald betreibt Thorsten Kahl, dessen Herz an historischen Klempnermaschinen hängt, einen Klempnerfachbetrieb. (Bild 7.).
Orientalischer Rückblick
Die letzte Etappe der Drachentour führte nach Baden-Württemberg zum Handelshaus Barth in Renningen und zu René Engelhardt in Korntal-Münchingen. Besonders neugierig waren die Meisterschüler der Robert-Mayer-Schule aus Stuttgart, die eigens René Engelhardts Klempnerstüble in Münchingen aufsuchten (Bild 8.). Roger Wanner zeigte ihnen einige Treibwerkzeug-Tricks und nannte den Ansprechpartner für Spezialwerkzeuge gleich beim Namen – Engelhardt, Werkzeuge und Maschinen.
Als das Kunstspenglercabrio vor der BAUMETALL-Redaktion in Wildberg stoppte, staunte Chefredakteur Andreas Buck nicht schlecht. Roger Wanner übermittelte viele Grüße aus Klempnerdeutschland. Als er dabei von den vielen Begegnungen der Drachentour 2007 berichtete wurde deutlich, wie sich aus seinem ersten Anruf bei https://www.baumetall.de bis heute ein regelrechtes Kollegennetzwerk entwickelte.
Eine Staubfahne nähert sich einem Landwirtschaftsgebäude im Nordschwarzwald. Das Navigationsgerät meldet: „Sie haben das Ziel erreicht“ und der mit kupfernen Drachen verzierte Wagen stoppt vor dem orientalischen Zwiebelturm der Kamelfarm (Bild 9.), genau an der Stelle an der vor drei Jahren vieles begann (siehe auch BAUMETALL 7/2004 S. 24 ff).